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Unternehmensarchitektur: Zuerst der Bauplan, dann die IT-Lösung

17.04.2025 - 16 Min. Lesezeit

Portrait von Thomas Brunner

Thomas Brunner

Geschäftsführung | Sozialinfo

Zwei Mitarbeitende diskutieren vor dem Computer über Unternehmensarchitektur.

Wir haben uns eine neue IT-Plattform gebaut und dabei viel gelernt. Diese Erfahrungen wollen wir für Organisationen aus dem Sozialbereich nutzbar machen und sie damit in ihren eigenen IT-Vorhaben unterstützen. Wie das geht und was dabei möglich ist, zeigen wir in diesem Erfahrungsbericht.

Sozialinfo hat sich in den letzten Jahren komplett neu aufgestellt. Um in einer Ära der rasanten Veränderungen gesund und erfolgreich auf dem Markt zu bestehen, üben wir uns auf der Seite Mensch in rollenbasierter Zusammenarbeit und agilem Projektmanagement. Um auch auf Seite Technik mitzuhalten, haben wir uns eine umfassende Erneuerung unserer in die Jahre gekommenen IT-Plattform vorgenommen. Für ein KMU wie Sozialinfo ist dies ein grosser Brocken – und scheitern ist, da existenzbedrohend, keine Option.

Um das Risiko zu vermindern und die für uns beste Lösung zu finden, war von Beginn an klar, dass wir unser Vorhaben an einem definierten und erprobten Prozess ausrichten. Wir haben dafür TOGAF als Basis gewählt – und damit gute Erfahrungen gemacht.

TOGAF…? Wenn Du, Leser*in, nun genauso wenig verstehst wie ich, können wir beide von Glück reden, gibt es Expert*innen dafür. Zum Beispiel David Brühlmeier, unseren Leiter IT. Er ist zertifizierter Unternehmensarchitekt.

Unternehmensarchitektur

Eine Unternehmensarchitektur ist vergleichbar mit dem Bauplan eines Hauses, aber für Unternehmen. Sie beschreibt, wie Prozesse, Applikationen, Daten und Technologien zusammenspielen, damit das Ganze gut funktioniert und die strategischen Ziele erreicht werden können.

Basis für massgeschneiderte technologische Transformation 

David erklärt: «TOGAF ist eine umfassende Methode zur Planung, Gestaltung und Umsetzung von Unternehmensarchitekturen. Die Methode wurde für grössere Unternehmen entwickelt, sie bietet aber auch kleineren Organisationen eine hervorragende Basis für technologische Transformationsprojekte.»

Pilot: TOGAF in Sozialen Organisationen

Das schrittweise und hochstrukturierte Vorgehen war enorm hilfreich, um die Komplexität des Vorhabens zu verringern und uns kontinuierlich der Lösung anzunähern. Im Prozess wurde für uns immer klarer, dass wir mit TOGAF und der Expertise für dessen Anwendung eine sehr effektive Ressource in den Händen haben, die Organisationen aus dem Sozialbereich für technische Change-Projekte fit machen kann. Um diese Annahme in der Praxis zu überprüfen, haben wir eine mutige und innovative Organisation gesucht, die mit uns als Unternehmensarchitekten ein Pilotprojekt in der Neugestaltung ihrer IT-Umgebung durchführen wollte. Fündig geworden sind wir bei der Quellenhof-Stiftung aus Winterthur. Wie in vielen gewachsenen und stetig weiterwachsenden Unternehmen ist auch ihre IT-Plattform stark fragmentiert. Dadurch ist ihre tägliche Arbeit von Medienbrüchen geprägt. Und wie vielen Organisationen fehlt auch ihnen bisher die Fähigkeit, tiefgreifende technische Change-Projekte erfolgreich zu führen.

TOGAF ist ein Phasenmodell. Und es gehört zum agilen Projektmanagement, immer wieder innezuhalten, zurückzublicken und zu lernen. Im offenen Austausch mit den Verantwortlichen der Quellenhof-Stiftung wollen wir hier also Bilanz über die ersten beiden Phasen des TOGAF-Prozesses ziehen und gemeinsam lernen, auch bezüglich der Übertragbarkeit des Prozesses auf weitere Vorhaben.

Portrait Joe Leemann

Joe Leemann

Co-Geschäftsführer

Quellenhof-Stiftung

Portrait von Jonathan Heimlicher

Jonathan Heimlicher

Leiter Digitalisierung & IT, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung

Quellenhof-Stiftung

Sozialinfo / Thomas Brunner: Sich den «Brocken» einer neuen IT-Plattform vorzunehmen, ist ja kein «einfach so»-Vorhaben. Joe, was war euer Veränderungsimpuls?

Joe Leeman: Der Funke wurde eigentlich schon vor 5-6 Jahren gezündet. Damals ist das Thema Digitalisierung über die Arbeitswelt «geschwappt» und ich als Geschäftsführer habe realisiert, dass uns dieses Thema beschäftigen wird. In welcher Form und welchem Umfang, davon hatte ich noch keine Ahnung. Damals verstanden wir unter Digitalisierung «IT mit neuen, lässigen Features». Erst in den letzten Jahren haben wir gelernt, dass Digitalisierung ein umfassender Transformationsprozess ist. Aus einem IT-Thema wurde ein Führungsthema und damit wurde es zu meinem Thema.

Was hat euch bewogen, diesen für ein Unternehmen zentralen Transformationsprozess mit TOGAF zu gestalten?

Jonathan Heimlicher: Als Leiter Digitalisierung & IT stand ich vor der Herausforderung, dass ein IT-Projekt in dieser Grössenordnung eine hohe betriebswirtschaftliche Relevanz hat und entsprechend umfassend geplant und kommuniziert werden muss. Zudem werden im Sozialbereich Fachlichkeit, Betriebswirtschaft und IT oft immer noch als Gegenspieler gesehen: «Hey, wir haben zwar eine marode Technik, aber dafür schauen wir den Menschen gut!» Das ist oft die Interpretation von «Der Mensch im Mittelpunkt». Aber da stand dieser Elefant im Garten … Und es reichte nicht, auf ihn zu zeigen. Er musste sinnbildlich gegessen werden. Ich sah meine Situation fast so, als müsste ich die Organisation lehren, mit Messer und Gabel ans Werk zu gehen. Dafür war und ist TOGAF als Ansatz enorm hilfreich. Mit seiner klaren Struktur und seiner Begrifflichkeit verbesserte er die Anschlussfähigkeit für die verschiedenen Anspruchsgruppen. Man hörte mir zu. Ich präsentierte nicht einfach meine Idee, sondern einen Plan, einen klar strukturierten Prozess. Ein wesentlicher Vorteil des TOGAF-Prozesses ist, dass er alle Ebenen einbezieht. Vor allem die Führungsebenen müssen im Prozess Stellung beziehen. Meine Botschaft war: Ihr braucht nicht primär neue Technologien – ihr müsst das gesamte Thema der Veränderung im Unternehmen neu denken. Dabei hilft TOGAF mit Modellen und Strukturen.

Jonathan spricht im Grundsatz davon, dass TOGAF eure Veränderungsfähigkeit erhöhen soll. Funktioniert das?

Joe: Als Geschäftsführer, oder in meinem Fall als Co-Geschäftsführer einer Organisation des Sozialbereichs kommt man auch heute oft in die Rolle eines Patrons, der gut zu den ihm Anvertrauten schaut und alles im Griff hat. Da kann das Thema Digitalisierung schnell bedrohlich werden, weil aus meiner Sicht ein durchschnittlicher Geschäftsführer oder eine durchschnittliche Geschäftsführerin im Sozialbereich keinen Plan im Umgang mit Digitalisierung hat. Und ein klar definierter, strukturierter und erprobter Prozess ist eben eine gute Grundlage für einen Plan. Ich hatte das Glück, dass wir mit Jonathan eine Person intern hatten, die TOGAF verstand und mir auch erklären konnte. Aufgrund von Grösse und Relevanz des Vorhabens war aber klar, dass wir uns weitere Expertise dazuholen wollten. Zum einen, damit wir nicht «frei fliegend» unterwegs waren. Zum andern auch, weil es für externe Begleiter*innen grundsätzlich einfacher ist, «dem Elefanten» einfach mal ein Bein abzuschneiden … Aber dabei ist Vertrauen wichtig. Und mit Sozialinfo hat es sich rasch vertraut angefühlt.

Jonathan: Ich gehe tatsächlich davon aus, dass es für eine erfolgreiche Anwendung eine Person braucht, die sich intensiv mit Veränderung auseinandersetzt. Jemand muss sich dem Prozess annehmen, für ihn brennen, sich weiterbilden, vernetzen. Das ist in meinem Verständnis in grossen Organisationen mit mehreren Tausend Mitarbeitenden, für welche TOGAF eigentlich entwickelt wurde, so. Das gilt aber auch für Kleine. Und ideal ist sicher, wenn dies eine interne Person ist, welche sich an den Schnittstellen zwischen Technologie, Betriebswirtschaft und Fachlichkeit wohl fühlt. Aus meiner Sicht ist die Reflexion mit anderen Fachpersonen entscheidend, um Fehlüberlegungen und blinde Flecken zu verhindern. Dafür war für mich die Zusammenarbeit mit Sozialinfo zentral. Ihr kennt sowohl den Prozess und die Technologien als auch die Soziale Arbeit. Ihr wurdet nicht nur zu meinem Partner, sondern auch zum wichtigen Gegenüber für die Geschäftsleitung. In dieser Kombination war und ist es tatsächlich möglich, die Veränderungsfähigkeit unserer Organisation zu erhöhen.

Was würdet ihr denn nun, nach den ersten beiden Phasen des Prozesses, als euer Highlight bezeichnen?

Joe: Wir haben als Organisation einen Professionalisierungsschritt geschafft. Statt abzuwarten und zu hoffen, dass das Thema Digitalisierung an uns vorübergehen wird, haben wir begonnen, es aktiv zu gestalten. Wir haben uns kompetentes Projektmanagement und finanzielle Gesundheit auf die Fahne geschrieben. Damit ist auch klar, dass wir nebst der Fachkompetenz in der Kernaufgabe, der Sozialen Arbeit, eben auch Expertise in technischeren Disziplinen brauchen. Personen aus der IT oder der Betriebswirtschaft sind in unserer Organisation keine Fremdkörper mehr. Die Gewissheit ist gewachsen, dass wir solche Expertise brauchen, um auch in Zukunft gute Soziale Arbeit machen zu können.

Jonathan: Für mich als Leiter Digitalisierung & IT sind im Prozess Verbindungen in alle Richtungen entstanden – sowohl innerhalb der Quellenhof-Stiftung mit den verschiedenen Stakeholdern als auch mit Partnerorganisationen. Mein Verständnis der Digitalisierung in der sozialen Arbeit hat sich dadurch deutlich erweitert - und mein «Sozialarbeiterisch» ist besser geworden!

Und welche Bilanz würdet ihr zusammengefasst in einem Satz für die bisherige Zusammenarbeit mit Sozialinfo ziehen?

Joe: Nach anfänglichen Schwierigkeiten beim Check-in und der Sicherheitskontrolle steht das Flugzeug nun startbereit auf der Startbahn.

Jonathan: Durch die Zusammenarbeit mit Sozialinfo wurde möglich, den Change nicht reaktiv, auf Grund von Druck, sondern mit einer Vision zu führen.

Herzlichen Dank euch beiden für das Gespräch!

Geglücktes Experiment

Was lernen wir nun also aus der Zusammenarbeit mit der Quellenhof-Stiftung? Grundsätzlich hat sich bestätigt, dass der TOGAF-Prozess Organisationen zum Wandel befähigt, oder diesen zumindest unterstützt. Die Verantwortlichen erlebten als hilfreich, einem klaren Prozess folgen zu können, weil dieser Sicherheit vermittelt und gleichzeitig konkrete Lösungswege skizziert. Klar wurde ihnen, dass dieser Prozess ein Zuhause haben muss. Eine Person, die ihm Sorge trägt und ihn führt. Aus ihrer Sicht sollte diese Verantwortung einer internen Person übertragen werden. Falls dies nicht oder nur zum Teil möglich ist, scheint eine Begleitung durch Externe dann wirkungsvoll zu sein, wenn diese Externen «Sozialarbeiterisch» sprechen und die Praxis von Organisationen im Sozialbereich gut kennen. Für uns ist damit genügend klar, dass wir ein weiteres Experiment wagen dürfen.

Gerne nehmen wir einen nächsten Auftrag für die Begleitung einer Organisation in einem technologischen Transformationsprojekt an. Falls du Interesse daran hast, oder auch mehr Informationen zum TOGAF-Prozess möchtest, steht David dir für einen unverbindlichen Austausch gerne zur Verfügung.

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